19.04.2004

Ursache des zweithäufigsten Schlaganfalltyps bei jüngeren Patienten entdeckt

Ansatz für einen Hauttest / Genetische Ursache wahrscheinlich

Die zweithäufigste Ursache für einen Schlaganfall bei jüngeren Erwachsenen sind so genannte spontane Dissektionen. Das sind Einrisse der inneren Arterienwand, die direkt oder durch Thrombenbildung zu einem Gefäßverschluss führen können. Sind hirnversorgende Arterien davon betroffen, ist häufig ein Hirninfarkt die Folge. In Deutschland erleiden jedes Jahr bis zu 2000 Menschen unter 45 Jahren einen derartigen Schlaganfall, die meisten von ihnen werden aus völliger Gesundheit betroffen. Bislang war die Ursache solcher Gefäßdefekte unklar.

Eine Forschergruppe des Kompetenznetzes Schlaganfall um Privatdozent Tobias Brandt, Ärztlicher Leiter der Schmiederkliniken in Heidelberg, ist nun allerdings fündig geworden: Anhand von elektronenmikroskopischen Untersuchungen an Hautproben von Dissektionspatienten konnten die Forscher eine Bindegewebsschwäche der Arterienwände als eine der Ursachen feststellen. Die Ergebnisse wurden heute auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin in Wiesbaden vorgestellt.

Ansatz für einen Hauttest

„Damit“, so Brandt, „konnten wir erstmals die bereits oft geäußerte Vermutung, dass spontanen Dissektionen eine Bindegewebsveränderung zu Grunde liegt, tatsächlich bestätigen.“ Die Ergebnisse könnten nun langfristig einen Ansatz bieten, Risikopatienten anhand eines Hauttestes frühzeitig zu identifizieren und gezielte Vorsorgemaßnahmen einzuleiten: Zum Beispiel bestimmte Leistungssportarten oder chiropraktische Behandlungen, die mit ruckartigen Bewegungen des Halses verbunden sind, zu vermeiden. „Direkt beheben lassen sich Dissektionen allerdings nicht“, so Brandt.

Ursachensuche auf drei Kandidatengenen

Die Wissenschaftler analysierten mandelgroße Hautproben, die den Patienten oberhalb des Ellbogens entnommen wurden. Das Ergebnis: In mehr als der Hälfte der Proben – bei 97 von bisher 174 untersuchten Dissektionspatienten - fanden die Forscher Unregelmäßigkeiten in der Bindegewebsstruktur. Bei weitergehenden Untersuchungen ließen sich die gleichen krankhaften Veränderungen auch in den Wänden hirnversorgender Arterien nachweisen. Die Bindegewebsschwäche in der Haut zeigt demnach einen generellen Bindegewebsdefekt an, der sich auch in den Arterienwänden wieder findet. Kontrollpatienten wiesen dagegen keine solche Hautveränderung auf. Ebenfalls wichtig: Bei sämtlichen Schlaganfallpatienten, die nach der ersten spontanen Dissektion einen weiteren Schlaganfall erlitten, konnten die Wissenschaftler die Bindegewebsschwäche nachweisen. „Das ist ein starker Hinweis darauf, dass die entdeckte Bindegewebsschwäche ein hohes Risiko für eine Dissektion darstellt“, so Brandt. Gerade diese Dissektions-Patienten seien besonders gefährdet, einen erneuten Hirninfarkt zu erleiden. Aber auch für bisher beschwerdefreie nahe Familienmitglieder von Patienten könnte dieses Ergebnis von großer Bedeutung sein. Denn Grundlage der Bindegewebsschwäche scheint eine erbliche Veranlagung zu sein. So treten Rezidive spontaner Dissektionen gehäuft in Familien auf. Derzeit nehmen Genetiker des Kompetenznetzes drei Kandidatengene auf dem Chromosom 15, deren Produkte am Aufbau der Arterienwände beteiligt sind, näher unter die Lupe. Aus Stammbaum-Analysen haben sich starke Anhaltspunkte darauf ergeben, dass eine Veränderung in nur einem dieser Gene zu der beobachteten Bindegewebsveränderung führt.

Mehrwert durch Zusammenarbeit

Insbesondere durch die interdisziplinäre Kooperation der Forschergruppen im Kompetenznetz Schlaganfall konnten eine ausreichend hohe Patientenanzahl rekrutiert und aussagekräftige Ergebnisse erzielt werden. Dabei arbeiten Spezialisten der Ultrastrukturforschung, Neurologen und Genetiker der Universitäten Heidelberg und Münster sowie des Klinikums Minden zusammen.

Kompetenznetz Schlaganfall

In dem vom BMBF geförderten Kompetenznetz Schlaganfall arbeiten seit 1999 bundesweit Akteure der Versorgung, klinische Wissenschaftler und Grundlagenforscher eng zusammen. Ziel ist es, die Kompetenz der beteiligten führenden Forschungsgruppen zu bündeln, die Kommunikation zwischen Wissenschaftlern, Ärzten und Betroffenen zu verbessern – und damit die Schlaganfall-Forschung noch effizienter voranzutreiben. Neue wissenschaftliche Ergebnisse können so rascher in die Patientenversorgung einfließen. Mit seinen insgesamt 29 interdisziplinären Projekten will das Netz die Risikoerkennung und Vorsorge, Diagnose und Akutbehandlung sowie die Rehabilitation und die Versorgung von Schlaganfallpatienten optimieren.
Jedes Jahr erleiden in Deutschland fast 200.000 Menschen einen Schlaganfall. Der Schlaganfall ist damit die dritthäufigste Todesursache und die häufigste Ursache für dauerhafte Behinderungen bei Erwachsenen.

Weitere Informationen erhalten Sie von:

PD Dr. med. Tobias Brandt
Schmiederkliniken
Speyrerhof 3
69177 Heidelberg
Tel.: (06221) 65 40 221
Fax: (06221) 65 40 560
Email: t.brandt[at]kliniken-schmieder.de

 

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